Lebenslauf |
Heinrich Joachim von Sichrovsky wurde am 12. Juni 1794 in Wien als Sohn von Moses Sichrovsky und Elisabeth Kuh geboren. Er trat als Eisenbahnpionier, Verwaltungsbeamter und Literat hervor. 1847 heiratete Sichrovsky Babette Kohn (1821-1878). Nach Abschluss des Gymnasiums und der Realakademie bei St. Anna in Wien trat Sichrovsky zunächst in das Wiener Großhandels- und Bankhaus H. Biedermann´s Söhne ein, das mit dem Bank- und Wechselhaus von S. M. v. Rothschild assoziiert war, und erhielt bald die Prokura. Auf einer seiner zahlreichen Reisen durch Europa, die er auch ausführlich in seinen Tagebüchern beschrieb, lernte Sichrovsky 1831 in England die dampfgetriebene Eisenbahn und deren Vorteile gegenüber dem Pferdezug kennen. Für den Entwurf des ersten Organisationsstatuts der ältesten Lokomotiveisenbahn in Österreich klärte er gemeinsam mit Franz Xaver Riepl die wirtschaftlichen Aspekte und die technisch-administrativen Voraussetzungen und publizierte 1834 ein diesbezügliches „Promemoria über die Anlage, Unterhaltungskosten und Frachtquantum“. Nachdem Rothschild nach anfänglicher heftiger Gegnerschaft nicht zuletzt von Seiten Kaiser Franz des I. von dessen Nachfolger Ferdinand 1836 das Privilegium zum Bau der ersten Lokomotivbahn in Österreich auf der Strecke zwischen Wien und den Salzbergwerken von Bochnia (Galizien) mit Erlaubnis einer Aktiengesellschaft zur Finanzierung erhalten hatte, wurde Sichrovsky erster Generalsekretär der als „k. k. ausschl. priv. Kaiser Ferdinands-Nordbahn“ bezeichneten Linie, die ab 1837 mit der engl. Lokomotive „Austria“ zwischen Floridsdorf (Wien 21) und Dt. Wagram (NÖ) befahren werden konnte. Sichrovsky suchte 1844 erfolglos um eine Konzession für eine „atmosphärische Eisenbahn“ an, die teils einer Hochbahn, teils bis in Einzelheiten der späteren Wr. Stadtbahn nach Hütteldorf entsprach; gleichfalls keine Genehmigung erhielt er 1845 zur Gründung einer „Anglo-Austrian Railway-Company“ als gem. Aktiengesellschaft oder 1855 für die geplante Westbahn von Stockerau durch das Donautal über Linz nach Salzburg. 1864 in die Dion. der Nordbahn gewählt, war Sichrovsky ein unerbittlicher Gegner der Staatseisenbahn-Gesellschaft (Konzessionsstreit). Politisch konservativ, erhielt Sichrovsky 1850 als einer der ersten Juden das Wiener Bürgerrecht, wurde 1866 nuch kurz vor seinem Tod mit dem Orden der Eisernen Krone III. Kl. ausgezeichnet und geadelt. Im Rahmen der israelitischen Gemeinde Wiens galt Sichrovsky als Reformer, war bereits ab 1819 Leiter verschiedener sozialer Einrichtungen (u. a. Chewra Kadischa, Gemulath chesed-Ver.), 1825 im Ausschuß für den Bau und ab 1830 Vorsteher des Bethauses in der Seitenstettengasse (Wien 1); in der Folge war er einer der Hauptgründer des Großen Tempels in der Leopoldstadt (Wien 2). Ab 1838 Sekretär und 1843–60 Vertreter des Vorstandes der jüdischen Gemeinde, sorgte Sichrovsky neben der Förderung des Schulunterrichts und Gründung des israelitischen Handwerkervereins für Reformen und richtete 1848 eine Petition „um vollständige Gleichstellung aller Glaubensbekenntnisse“ an die Krone. Auch am geselligen Leben nahm Sichrovsky, der mit Vorliebe in Künstlerkreisen verkehrte, regen Anteil; so beteiligte er sich u. a. 1816 an der Gründung der literarisch-geselligen Wiener Künstlergesesllschaft „Ludlamshöhle“ und war nach deren Aufhebung (1826) Mitglied ähnlicher Vereinigungen, z. B. der 1855 gegründeten „Grünen Insel“. Sichrovsky betätigte sich als Dichter von Oden und Balladen, humoristischen Traktaten, satirischen Epigrammen und als Vortragender von Stegreifliedern. Er beteiligte sich auch an den Juxblättern seines Bruders mit Beiträgen (u. a. „Dummologie“, 1826). Seine Tochter Elise (geb. Wien, 12. 9. 1848; gest. ebd., 15. 3. 1929), ab 1869 mit Theodor Gomperz vereheiratet, war Förderin sowie Patientin von Sigmund Freud, mit dem sie einen jahrelangen Briefwechsel führte. Seine jüngere Tochter Sophie (geb. Wien, 1851; gest. ebd., 9. 5. 1910) heiratete 1883 den Berliner Chemiker Hans Jahn, einen Großneffen des „Turnvaters“ Friedrich Ludwig Jahn.
Heinrich von Sichrovsky starb am 10. Juli 1866 in Baden bei Wien.
Zu seinem fünfzigsten Geburtstag 1844 hatte Sichrovsky von seinen Mitarbeitern ein silbernes Lokomotivmodell geschenkt, das später im Hause seines Schwiegersohns Theodor Gomperz als Blickfang thronte und schließlich an seinen Enkel Rudolf Gomperz vererbt wurde, der als Ingenieur zunächst bei der Bagdad Bahn arbeitete und dann in St. Anton am Arlberg zum Pinonier des modernen Skitourismus werden sollte. Als Gomperz 1942 deportiert wurde, blieb das Modell in St. Anton zurück und verschwand - um erst 2015 wieder auf einem Dachboden aufzutauchen. |